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Rubrik: Tagesberichte
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Erschienen 07.09.2001, 00:00
Modifiziert 07.09.2001, 12:29
Antikörper gegen Prionen-Erkrankungen
Bald Impfung gegen Rinderwahn?

Der erste Schritt zu einer Impfung gegen Rinderwahnsinn und andere Prionenerkrankungen ist getan. Uni-Forscher Adriano Aguzzi und sein Team konnten Mäuse mit Antikörpern vor Prionen schützen. Dass vielleicht eine Impfung bald dringend nötig ist, legen epidemiologische Daten nahe.

Von Jakob Lindenmeyer

"Aufgrund der Tierexperimente müsste es eine riesige Katastrophe geben", erklärte der bekannte Prionenforscher Adriano Aguzzi an der heutigen Medienorientierung. Doch aufgrund der bisher lediglich 108 menschlichen Opfer der neuen Variante der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (nvCJD) müsse es etwas geben, das den Menschen vor einer schrecklichen Epidemie schütze, das die Forscher bisher aber noch nicht verstehen. "Für die Volksgesundheit wäre es trotzdem wichtig zu wissen, wie viele Personen sich mit bösartigen Prionen infiziert haben", meint Aguzzi. In der Schweiz ist darum eine anonyme Studie geplant, ähnlich einer bereits in Grossbritannien laufenden Untersuchung.

"Schreckliche Tragödie"

Weltweit sind bis jetzt 108 Menschen an der menschlichen Form des Rinderwahnsinns (nvCJD) gestorben. "Das ist zwar eine schreckliche Tragödie für die betroffenen Familien", kommentiert Aguzzi, "doch die Anzahl ist zu klein, um statistische Prognosen zuzulassen." Trotzdem präsentiert Aguzzi zwei Szenarien: Im besseren Fall wird angenommen, die Inkubationszeit beim Menschen betrage rund zehn Jahre. Dadurch wären wir heute- zehn Jahre nach dem BSE-Höhepunkt (lila Kurve im Bild oben rechts) - mit 108 Toten auf dem Maximum der Epidemie (schwarze Kurve in der Mitte). "Wenn die Inkubationszeit aber über 20 Jahre beträgt, werden wir sehr grosse Probleme haben", meint Aguzzi düster. Dann nämlich würde die Zahl der menschlichen Opfer während den nächsten Jahren epidemieartig zunehmen (hellblaue Kurve).

Der bekannte Prionenforscher Adriano Aguzzi
Wenn Aguzzi ruft, kommen die Medien. (Im Hintergrund links der Erstautor des heutigen Science-Papers (3): Frank Heppner).

 
Zur Person
Der 41jährige italienische Neuropathologe Adriano Aguzzi ist Direktor des Instituts für Neuropathologie am Universitätsspital Zürich und des Schweizerischen Referenzzentrums für Prionenkrankheiten. Er ist Mitglied des BSE-Beratungsausschusses der britischen Regierung und der EU-Kommission. Aguzzi gilt als einer der weltweit führenden Experten für die menschliche Variante von Rinderwahnsinn. In der heutigen Ausgabe von "Science" publiziert er zusammen mit seinem Kollegen Frank Heppner einen Ansatz, wie Antikörper vor bösartigen Prionen schützen. ETH Life-Interview mit A. Aguzzi. (1)

Raeumliche Struktur des Rinderprions
Vergleich der räumlichen Faltung verschiedener Prionproteine. Die Prionproteine von Rind (grün) und Mensch (rot), Rind und Maus (gelb), und Rind und Hamster (violett) sind paarweise überlagert. (Bild: Institut für Molekularbiologie und Biophysik der ETH Zürich)

Der Erreger des Rinderwahnsinns (BSE) und der menschlichen Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (CJD) ist nach der Theorie des Nobelpreisträgers Stanley Prusiner ein Prion-Eiweiss. Prion bedeutet "proteinartiger infektiöser Partikel". Die "gesunde" und die "bösartige" Variante des Prion-Eiweisses haben dieselbe chemische Zusammensetzung. Sie unterscheiden sich nur in ihrer Faltung und räumlichen Struktur. (2)

 
Rinder sind über den Berg
Der Rinderwahnsinn erreichte die Schweiz erstmals 1990. Seither sind ihr 389 Rinder zum Opfer gefallen - ähnlich viele wie im wesentlich grösseren Frankreich. Die BSE-Epidemie ist zwar am abflauen, doch allein in diesem Jahr zählte die Schweiz immer noch 24 Fälle - trotz verschärfter Futtermittel-Regulierung vor fünf Jahren. Vermutlich wurden auch mehr Fälle erkannt wegen der Vervierfachung der BSE-Tests, insbesondere seit die beiden Grossverteiler Migros und Coop auch normale Schlachtungen testen.

Weiter: oben rechts.


Der bekannte Prionenforscher Adriano Aguzzi
Prionenforscher Adriano Aguzzi: "Aufgrund der Tierexperimente müsste es eine riesige Katastrophe geben." (Zur Ansicht des Worst-Case-Szenario (hellblau) bitte aufs Bild klicken!)

Impfstoff als Wunderwaffe

"Eine Impfung ist der effizienteste Weg, um den Erreger zu stoppen", ist der Prionenforscher Aguzzi übezeugt. Darum konzentrierte sich sein Mitarbeiter Frank Heppner in den letzten vier Jahren auch vor allem darauf, mit einem vom Rinderwahn-Tester "Prionics" geliehenen Antikörper gegen das Prionprotein eine Schutzwirkung zu entwickeln. Jetzt ist es Aguzzi und Heppner gelungen, Mäuse gentechnisch so zu verändern, dass sie dauerhaft Antikörper gegen ihr eigenes Prion-Protein produzieren und es dadurch gegen den Befall durch die bösartige Form schützen. "Dies ähnelt einer Impfung, in der typischerweise das Immunsystem Antikörper gegen einen definierten Erreger produziert", schreiben die beiden begleitend zur heutigen Publikation im Wissenschaftsmagazin "Science". (3) Doch Aguzzi warnt vor falscher Vorfreude: "Bis zur Entwicklung eines Impfstoffs für den Menschen ist es noch ein weiter Weg."

Genetischer Trick

Aus dem heute erstmals vorgestellten Experiment resultieren folgende Erkenntnisse:

  1. Dank einem genetischen Trick ist es möglich, das Immunsystem von Mäusen so zu programmieren, dass Antikörper gegen die eigene, gesunde Form des Prion-Proteins gebildet werden.
  2. Die Antikörpermenge reicht allerdings nicht aus, um einen Selbst-Angriff gegen den eigenen Körper auszulösen. Der Körper toleriert also ein gewisses Mass an Antikörper gegen sich selbst.
  3. Die produzierten Antikörper wirken schützend gegen Angriffe der bösartigen Prion-Proteine.

Schutz bleibt ungeklärt

Wie dieser unter "3." erwähnte Schutz genau funktioniert, ist noch nicht geklärt. Es existieren verschiedene Hypothesen. Die Naheliegendste ist, dass der Antikörper direkt ans gesunde Prion-Protein bindet und es so maskiert, dass die bösartige Form keine Angriffsfläche findet. Allerdings könnte es auch sein, dass der Antikörper zusätzlich auch die bösartige Form des Prions bindet, sodass die Umwandlung von "gutartig" zu "bösartig" unterbunden wird.

"Eine Therapie ist Science Fiction"

Aguzzi möchte keine falsche Begeisterung wecken: "Momentan ist es völlig unrealistisch, eine Therapie anzustreben!" Denn im Stadium, in dem die ersten Symptome auftreten, sei das Hirn schon viel zu stark zerstört. Dies weiss man aufgrund der Untersuchung des Gehirns eines nvCJD-Infizierten, der sich kurz nach den ersten Symptomen das Leben nahm. Doch immerhin zeigen die heute präsentierten Resultate, dass das Immunsystem in der Lage ist, bösartige Prionen zu bekämpfen. Dies ist eine Grundlage, um nun gezielt die Entwicklung von Impfstoffen für Mensch und Tier anzugehen.

 
'Wie sicher sind Blutprodukte?'
...wurde Aguzzi am Rande der heutigen Medienorientierung gefragt, denn neben dem Konsum infizierten Rindfleischs besteht ein weiteres mögliches Ansteckungs-Risiko in verseuchten Blutpräparaten. Das ist zwar rein theoretisch, trotzdem findet es Aguzzi wichtig, die notwendigen Vorkehrungen zu treffen. Allerdings befinden sich die Blutspendedienste in einem Dilemma: Einerseits will man sicheres Blut, doch andererseits kann man die Vorsichtsmassnahmen nicht beliebig verstärken, denn die Blutversorgung muss auch in genügender Menge sichergestellt werden. Dieses Dilemma zeigt sich auch in der Schweiz, wo Englandaufenthalter vom Blutspenden ausgeschlossen sind (siehe dazu den ETH Life-Bericht). (4)

Literaturhinweise:
•  ETH Life-Dossier "Tierseuchen": www.ethlife.ethz.ch/dossier/show/0,1046,0-1-706,00.html
•  ETH Life-Bericht "Basis für Bluttest auf Rinderwahnsinn": www.ethlife.ethz.ch/tages/show/0,1046,0-8-94,00.html

Fussnoten:
(1)  ETH Life-Interview mit Adriano Aguzzi (Archiv): "Die Gefahr lauert im Menschen": www.ethlife.ethz.ch/interview/show/0,1046,0-2-73,00.html
(2)  ETH Life-Interview mit ETH-Professor Kurt Wüthrich zur Struktur des Rinderwahnsinn-Erregers: www.ethlife.ethz.ch/interview/show/0,1046,0-2-140,00.html
(3)  Wissenschaftsmagazin "Science" vom 6.Sep.2001: Heppner, F.L. et al. "Prevention of Scrapie Pathogenesis by Transgenic Expression of Anti-Prion Protein Antibodies": www.sciencemag.org/cgi/content/abstract/1063093
(4)  ETH Life-Bericht: "Demnächst: Blutspendeverbot für Englandaufenthalter": www.ethlife.ethz.ch/tages/show/0,1046,0-8-379,00.html



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Stand: 10. Februar 2012